Europa

   
 

 Ungarn nach der Wende

 
   

1.

Fakten und Zahlen
 

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Bevölkerungsdichte 113 EW/k
Jährliches Bevölkerungswachstum: -0,1% (1993)
Erwerbstätigenstruktur (1993): Primär 20%, Sekundär 37%, Tertiär 43%

 

2.

Persistenzen
 

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Prägende Raumstrukturen bereits vor mehr als 100 Jahren entstanden
Unterschied des Entwicklungsniveaus zw. West- und Ostungarn: Transdanubien schon im Mittelalter besser entwickelt als die Große Ungarische Tiefebene. Im W dichte Siedlungsstruktur mit handels- und gewerbeorientierten Zentren, im E agrarische geprägte Städte (Marktflecken, Ackerbürgerstädte)
Dominanz von Budapest seit dem Mittelalter, verstärkt durch die türkische Herrschaft in 16./17. Jh.: in Transdanubien Siedlungsstruktur mit hierarchischem Städtenetz und Stadt-Umland-Verflechtungen erhalten, in der Tiefebene hingegen dünne Besiedlung, mangelhafte Hierarchie, Streusiedlungsgebiete
Österreich-Ungarn: rasche Entwicklung Budapests zum "Wasserkopf des Landes", Niedergang der Gegenden, die durch kleine Dörfer geprägt sind -> Bevölkerungsverlust, keine Impulse für die Wirtschaft => strukturelle Probleme beginnen bereits Ende des 19. Jh.
1. WK: Vertrag von Trianon entreißt Ungarn 71% seines Territoriums und damit 64% seiner Bevölkerung -> Übergewicht von Budapest noch größer, Zerschneidung von historisch gewachsenen Städte- und Stadt-Umland-Beziehungen an der neuen Staatsgrenze, viele Gebiete, die obendrein schon strukturschwach waren, verlieren ihr Zentrum an den anderen Staat
Sozialismus: Bestrebungen zum Abbau der regionalen Disparitäten, Programme aber nicht wirksam, v.a. großzügige Bergbau- und Industrieförderung (ideologische Zielsetzung, RGW-Arbeitsteilung), Begünstigung der Städte gegenüber den Dörfern bzw. Budapest ggü. dem Rest des Landes.
Obwohl Programme teilweise erfolgreich ("Industrialisierung des ländlichen Raumes"), bleiben Disparitäten erhalten => Spannungen!
Folgen der Konzentrationsprozesse: etwa 1 ½ Mio. Menschen wanderten von den ländlichen Gebieten in die Industrieräume und größeren Städte => Entvölkerung und soziale Erosionserscheinungen im ländlichen Raum

 

3.

Neue räumliche Prozesse nach der Wende
 

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Ursache des Umbruchs nach der Wende: Rollentausch bei den Impulsgebern der Regionalpolitik. Früher Beeinflussung vom Staat, heute Marktwirtschaft => Veränderung des wirtschaftlichen Gefüges: entwickelte Industriegebiete erlitten schwere Krisen, vormals durch ihre periphere Lage benachteiligte Räume an der westlichen Landesgrenze erleben raschen Aufschwung
Unterscheidung zwischen Gebieten mit leistungsfähigen Potentialen und solchen ohne nach der Wende besonders deutlich.
Charakteristisch für Umwandlungsprozesse: starke räumliche Differenzierung zwischen günstigen und ungünstigen Prozessen innerhalb Ungarns. Markantes Hervortreten der räumlichen Disparitäten
Günstigste Voraussetzungen: Budapest und Umgebung: 1/5 der ungarischen Bevölkerung, 1/3 des Bruttoinlandproduktes, mehr als ½ der joint ventures. Annähernd ½ der 20 Mrd. $ Investitionen fließen nach Budapest und Umgebung · Entwicklung von Budapest: Entstehung von Autobahnen, Industriebetriebe, logistische Zentren, Lagerhäuser und Einkaufszentren
Weiterer Gewinner der Wende: Nordwestungarn: Nähe vom Westen (A, D etc.), günstige verkehrsgeographische Lage, traditionell gut entwickelte Wirtschaft, hoch qualifizierte und billige Arbeitskräfte => Wohlstand, überdurchschnittliches BIP, ¼ der ausländischen Investitionen, Großkonzerne wie Audi, Opel und Suzuki
Verlierer der Wende: Schwerindustrie- und Bergbaugebiete (unrentable Zweige während der sozialistischen Periode erheblich durch den Staat gefördert), z.B. Nordungarn -> niedriges Produktionsniveau und hohe Arbeitslosigkeit, mangelndes Interesse des ausländischen Kapitals
Weiterer Verlierer: Große Tiefebene: Landwirtschaft büßte durch den Verfall des RGW ihren Hauptabsatzmarkt ein, verfehlte Agrarpolitik in den vergangenen Jahren, z.B. Industrialisierung des ländlichen Raums -> gegründete Betriebe nicht markt- und konkurrenzfähig -> Konkurs -> Verschärfung der Arbeitsmarktsituation
Räumliche Disparitäten hauptsächlich au der kleinräumlichen Ebene: Stadt und Umland umgeben von strukturschwachen Räumen
Veränderung in der Wanderbewegung: Konzentrationsprozesse vor der Wende werden durch Dekonzentrationsprozesse nach der Wende abgelöst (Stadt-Umland-Wanderung) -> Abnahme der städtischen Bevölkerung, entspr. Zuwachs in den Dörfern: Stadt - 3,7%, Dorf + 1,7% (Budapest -130.000 EW 1990-96). Dorfzuwachs hauptsächlich in der Peripherie größerer Städte -> Wohnsuburbanisierung. Soziale Differenzierung der Stadt-Umland-Wanderer: einerseits typische Suburbanisten, andererseits auch ärmere Leute, die die wachsenden Kosten des städtischen Lebens nicht mehr bezahlen können.

 

4.

Regionale Disparitäten heute
 

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BIP: Budapest um 80% über Landesdurchschnitt, zusammenhängende Krisenzone in Nord- und Nordostungarn, ansonsten mosaikartige Struktur: neben schwachentwickelten Komitaten liegen auch stärker entwickelte und vice versa
Massenhafte Arbeitslosigkeit nach der Wende, bereits im Sozialismus latent vorhanden. 1990-1995 -1,4 Mio. Arbeitsplätze.

3 Perioden:

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Periode der "schleichenden Arbeitslosigkeit 1989-1990: nur langsame Zunahme der Arbeitslosen, niedrige Arbeitslosenquote (1%)
Periode der "ansteigenden Arbeitslosigkeit" 1990-1993: Arbeitslosenzahl von 50.000 auf 700.000, 1% -> 13%
Periode der "sinkenden bis stagnierenden Arbeitslosigkeit" ab 1993: Tendenz nach unten, Sommer 1998 9%



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Zusammenhang: Niedrige Pro-Kopf-Werte des BIP entsprechen hoher Arbeitslosigkeit

Reale Disparitäten der Arbeitslosigkeit nicht auf Komitats- sondern auf kleinräumlicher Ebene: Innovations- und Anpassungsfähigkeit spiegeln sich in den Arbeitslosenzahlen wider. Hauptregionen der Arbeitslosigkeit: traditionell unterentwickelte Gebiete an den Landesgrenzen (Lagefaktor), Große Ungarische Tiefebene (RGW-Wegfall, verfehlte Industrialisierungspolitik) und Krisengebiete mit Industrie und/oder Bergbau (Wettbewerbsfähigkeit)
Arbeitslosigkeit in Ungarn eher ländliches denn städtisches Problem, insbes. in kleindörflichen Regionen -> Zerfall der lokalen Gesellschaft

 

5.

Die neue Raumstruktur
 

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Gewinner der Transformation: Budapest, Westungarn; potentielle Gewinner: Donaukorridor, Budapest-Kecskemét-Szeged- bzw. Budapest-Szolnok-Achse, Debrecen-Nyíregyháza, mittleres Transdanubien
Abgewertete Gebiete: Räume mit kleinen Dörfern, grenznahe Regionen (nicht Grenze nach Österreich!), traditionelle Problemgebiete der "inneren Peripherie", Altindustriezonen
Weitere Entwicklung Ungarns nicht absehbar, besonders nicht die der Krisengebiete; abh. von Wirtschafts- und Regionalpolitik der ungarischen Regierung sowie vom EU-Beitritt

 

 

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