Mittel- und Südamerika

   
 

 Cuba: Wirtschaft

 
     

1.

Allgemeines zu Entwicklungsländern
 

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Abgrenzung/Merkmale on Entwicklungsländern: nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im Zusam-menhang mit sozialen, kulturellen, politischen und ökologischen Faktoren - "magisches Fünfeck":
 


 

Entwicklung als eigenständige Entfaltung der Produktivkräfte zur Versorgung der gesamten Gesellschaft mit lebensnotwendigen materiellen sowie lebenswerten kulturellen Gütern und Dienstleistungen im Rahmen einer sozialen und politischen Ordnung. Dabei soll allen Gesellschaftsmitgliedern Chancengleichheit gewährt werden, Mitwirken an politischen Entscheidungen und Teilhabe am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand.
-> im Fall von Cuba reicht es nicht aus, sich nur auf das Pro-Kopf-Einkommen als Indikator zu verlassen, da gerade hier die Faktoren Bildung, Gesundheit, Ernährung in die Analyse des Ent-wicklungsstandes miteinbezogen werden müssen.

 
 

2.

Allgemeines zur Transformationsforschung

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Transformation als Anpassung an eine veränderte Situation zur systematischen Stabilisierung und als Prozess, der zwar eine Veränderung umfasst, aber das System an sich nicht wechselt, sondern in modifizierter Form beibehält.
Oder: Übergangsform von einem alten zu einem neuen System
Kein Element einer allgemeinen Theorie, lediglich Forschungsgegenstand: die Prozesse des politischen und gesellschaftlichen Übergangs von realsozialistischen zu postsozialistischen Gesellschaften
Transformation nur dann erfolgreich, wenn sich der Übergang auf allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ebenen vollzieht.
3 Dimensionen:
 

systembezogene

zeitliche

regionale

Dimension

Umformungen des ökonomischen und sozialen Systems

Historische Rahmenbedingungen und Periodizität (zeitlicher Ablauf der Transformation - Schock oder graduiert)

Raumwirksamkeit der Transformations-prozesse

 

 

  

3.

Sozialistische Entwicklungsländer
 

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Sozialismus: Verstaatlichung der Produktionsmittel zur Herstellung einer freien harmonischen Gesellschaft mit dem Ziel einer nachkapitalistischen Gesellschaft mit überwundener Arbeitsteilung und abgeschaffter Lohnarbeit und Herrschaft des Menschen über den Menschen
Merkmale: ökonomische Regelung durch einen Zentralplan, Aufhebung des Privateigentums und Außerkraftsetzen von Märkten und damit Angebot und Nachfrage. Unterdrückung der regierenden Klasse, partizipatorische Demokratie, Außenbeziehungen für neue Weltordnung sowie neue Ideologien und Kultur mit neuen Werten, Normen und sozialen Beziehungen.
Sozialismus der 3. Welt: "peripherer Sozialismus" -> geringe Durchkapitalisierung der Wirtschaft und Entwicklungsgefälle zwischen Zentrum und Peripherie. Hochphase Entkolonialisierung in den 50ern und 60ern -> Merkmal: Nicht als Folge von deformierter Kapitalisierung und deshalb nicht einzuordnen in das universal-evolutionistische Phasenmodell, nach dem der Sozialismus auf den Kapitalismus folgt.
Anspruch der Entwicklungsländer auf "Dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Kommunismus nach der Entkolonialisierung. Verknüpfung des vorkolonialen Erbes mit dem Sozialismus; vorkoloniale gesellschaftliche Verhältnisse als Leitideen der sozialistischen Entwicklung. Hauptgrund für Attraktivität des Kommunismus: Schreckgespenst des kolonialen Kapitalismus

 

4.

Cuba bis 1989: Zwischen dem Ostblock und Lateinamerika
 

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Sonderfall Cuba: einerseits Entwicklungsland, andererseits in sozialen Bereichen höher entwickelt als andere
Frage: Cubas Entwicklung ein "Modell" (wie von Fidel und Che propagiert), oder eher Summe von Reaktionen auf bestimmte Entwicklungen im Verlauf des revolutionären Prozess (US-Embargo ® Hinwendung zur UdSSR)
Vor der Revolution: Cuba wirkliches Entwicklungsland - Fidel führt´s auf Abhängigkeit von Amis zurück ® Ziel: Entwicklung durch Unabhängigkeit. Bis 80er war Cuba ein erfolgreiches Beispiel für peripheren Sozialismus, Lebensbedingungen deutlich gebessert.
Phasen des cubanischen Entwicklungsmodells:
 

 

Phase 1959-61:

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Demokratische, soziale und national-antiimperialistische Zielsetzung der Revolution.
Umverteilung und Restrukturierung der Wirtschaft.
Erste Agrarreform: Änderung der Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln, Verstaatlichungen, Lohnerhöhungen, Mietsenkungen
Ausweitung der Sozialleistungen im Bereich Bildung, Gesundheit und Wohnen
Importsubstituierung durch die cubanische Binnenindustrie -> Reduktion der Abhängigkeit von USA und Zucker
Erste Konflikte mit der USA: nach Schweinebucht-Invasion (1961) und Handelsembargo (1960) Verstaatlichung des gesamten amerikanischen Besitzes.
1961: Erklärung der sozialistischen Revolution
 

Phase 1961-70:

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2. Agrarreform (1963): Privatbesitz beschränkt auf 63 ha, bis 1970 sämtliche Wirtschaftsbereiche verstaatlich
unkoordiniertes Diversifizierungsprogramm (?) -> Abnehmen der Ernteerträge -> Versorgungsengpass -> Libreta; Revision der Entwicklungsstrategie von 1963 und Rückbesinnung auf Zuckersektor (Exportabkommen mit UdSSR)
Abgrenzung vom "Ökonomismus" der UdSSR, System der Budgetfinanzie-rung, zentrale Betriebsleitung und Zuweisung von Geldmitteln und Ressour-cen etc. -> Anspruch auf eigenes sozialistisches Modell
 

Phase 1970-75:

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Krise: gran zafra (10 Mio. t Zucker) wird nicht erreicht (wg. mangelnder Berücksichtigung wirtschaftlicher Rentabilität, Überzentralisierung und fehlender Einbeziehung der unteren Ebenen in die Planstellung)
Konsumverzicht -> politische Demoralisierung und Unzufriedenheit in der cubanischen Gesellschaft, lateinamerikanische Revolution scheitert endgültig (Che † 1967)
-> Umorientierung des politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Konzepts: 1972 Beitritt zum RGW; Zurücknahme der Modellfunktion Cubas
Ende des sozialistischen Entwicklungsmodells (vorrangig an Bewusstseinsentwicklung orientiert)
 

Phase 1976-86:

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Übernahme des sowjetischen Wirtschaftssystems der Leitung und Planung (Sistema de Dirección y Planificación de la Economía) -> Fünfjahrespläne;
Institutionalisierung der PCC durch neue Verfassung- Landwirtschaftliche Industrialisierung, begrenzte finanzielle Autonomie, autonome Produktion der Betriebe, materielle Anreize und ab 1980 freie Märkte
Subventionierung durch die UdSSR (Zucker und Erdöl - Reexport = ¼ der cubanischen Exporte)
Kredite aus dem westlichen Ausland für Importgüter, die nicht im RGW verfügbar sind -> Auslandsverschuldung (ca. 5 Mrd. $)
Zuerst 5% Wachstum, dann aber sinkende Preise für Öl und Zucker -> Ende des Wirtschaftswachstums
Rechtfertigung für erneute Einführung der cubanischen Wirtschaftsplanung. Schlechte Wirtschaftslage wird zurückgeführt auf die schnelle Entwicklung einer privatkapitalistischen Parallelwirtschaft (-> Korruption und Unterschlagung entziehen dem Staat Ressourcen) und sinkender Arbeitsmoral

Phase 1986-89:

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rectificación: Verbot der freien Märkte und des privaten Wohnungsbaus, Kampagnen gegen Korruption und bürokratische Auswüchse, Anwendung kapitalistischer Mechanismen im Sozialismus wird verurteilt
"Socialismo o muerte!" -> kein Entfernen vom sozialistischen Weg (wie Sowjetunion), erneuter Anspruch auf cubanisches Entwicklungsmodell und Cubas eigenen Weg zum Sozialismus (Distanz zur sowj. Perestrojka)

 

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Sozialpolitik: Einkommensverteilung zum Vorteil der Armen, drastische Reduzierung der offenen Arbeitslosigkeit, Preisstabilität der Grundnahrungsmittel, rasche Zunahme der Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialindikatoren: Cuba hat höchste Lebenserwartung in der 3. Welt, praktisch kein Analphabetismus, Bevölkerungswachstum unter Kontrolle. Aber: bereits 1958 relativ hohes Niveau
Bewertung: cubanisches Entwicklungsmodell basiert auf einer extremen Abhängigkeit von einem landwirtschaftlichen Exportproduktes und einem größeren Handelpartner, Beziehungen zur UdSSR von zentraler Bedeutung. Dauernde Kurswechsel der Regierung:
   a) Laborcharakter der cub. Revolution,
   b) wandelnde Konfliktsituationen innen- und außenpolitischer Natur,
   c) Ringen um einen Weg zum Sozialismus,
   d) Zwänge des Revolutionsprozesses,
   e) Korrektur von Fehlentwicklungen,
    f) Scheitern bestimmter politisch-ideologischer Vorstellungen
US-Handelsembargo versperrt eine Entwicklungsperspektive für das Land -> einzige Alternative Sowjetunion. Nachhaltige Veränderung der cubanischen Wirtschaft seit 1959, ohne dass die Grundprobleme - Abhängigkeit von landwirtschaftlicher Exportproduktion, ein Handelspartner und hohe Auslandsverschuldung - verändert hätten werden können.

 

5.

Die "Wende"
 

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Zusammenbruch der UdSSR und COMECON/RGW 1989 bzw. 1991: Cuba verliert wichtigsten Handelspartner -> Konsequenzen der aufgrund der Einbindung in den COMECON nicht diversifizierten Wirtschaft
Exporteinnahmen sinken um 70%, Importkapazität noch stärker, da subventionierte Preise von Sowjetunion wegfallen und durch Weltmarktpreise ersetzt werden
USA verschärft Wirtschaftsembargo: Toricelli-Gesetz: Präsident darf jedes Land, das Cuba unterstützt, mit Sanktionen belegen, außerdem Verbot für im Ausland tätige amerikanische Firmen, mit Cuba Handel zu treiben. Weitere Verschärfung im August 1994 (balseros-Krise): Einschränkung des Flugverkehrs und privater Überweisungen, Lockerung 1995. Helms-Burton-Gesetz 1996: Verbot des Imports von Waren aus Drittländern, die cubanische Rohstoffe verwenden, US-Bürger können ihr vorrevolutionäres Eigentum zurückfordern, Vertreter in IWF und Weltbank müssen gegen Subventionierung Cubas stimmen
Wirtschaftskrise ausgelöst durch geringe wirtschaftliche Effizienz mit negativer Tendenz, Verschlechterung der Handelsbeziehungen zum "Westen", Zusammenbruch des RGW, einseitige Wirtschafts- und Importstruktur sowie Embargo.
Unterschied zu Osteuropa: Trotz politischer Krise kein Kollaps des Kommunismus, da Revolution 1959 das Aufbegehren einer breiten Masse war, die Bedeutung der KP eher marginal und die Partei nicht mit Militärgewalt gegen das Volk vorging. Außerdem verbesserte Lebensbedingungen durch die Revolution. Trotzdem ab 1990 zunehmend Kritik an und Vertrauensverlust der Regierung -> Reformen

 

6.

Reformen
 

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Gliederung der cubanischen Reformen in 3 Etappen:
    1. Reform der "Kleinen Schritte" 1989-93
    2. Weitere Zugeständnisse der Regierung und Aufschwung 1993-96
    3. Stagnation der Reformen seit 1997
 

Phase 1:
1989-93

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Sonderperiode in Friedenszeiten und Ausbildung des Schwarzmarktes (periodo especial en tiempos de paz)
Anpassung der cub. Wirtschaft an die veränderten Bedingungen, Eingliederung in die Weltwirtschaft
Ziele: ausländische Investoren, erhöhte Lebensmitteleinfuhr, neue biotechnologische und pharmazeutische Exportprodukte, Aufbau des Tourismus - mit der Absicht, die Errungenschaften der Revolution zu garantieren.
Rationierung aller Produkte -> Verteilung der Versorgungskrise auf die gesamte Bevölkerung; konstante Preise durch Subventionen der Regierung
Gleichbeschäftigung bei konstanten Löhnen trotz niedriger Produktion ->Inflation, Geldüberhang, Schwarzmarkt, Wertverfall des cubanischen Peso gegenüber dem Dollar
Doppelstrategie: unter Vernachlässigung des Binnensektors wird die Weltmarktorientierung vorangetrieben, partielle Öffnung der cub. Ökonomie für ausländische Investoren: Nickel und Tourismus. Einzige Reform im Binnenbereich: "plan alimentario", Förderprogramm zur Lebensmittelproduktion
Legalisierung des Dollarbesitzes im Juli 1993
Bewertung: sektorale Vorgehensweise führt zu wenig Erfolg; geringe Steigerung der Ernten (fehlender Dünger und fehlender marktwirtschaftlicher Anreiz der Produzenten). Tourismuseinnahmen reichen nicht für Lebensmittelimporte aus. Keine Reform der Zuckerindustrie -> schlechte Ernten, keine Devisen. Zweiteilung der Wirtschaft: kapitalistische Dollar-Enklaven und sozialistische Peso-Ökonomie <=> Egalitätsprinzip der Menschen und der Revolution -> immer mehr Arbeitsverweigerung und immer geringere Ergebnisse im Binnensektor
 

Phase 2:
1993-96

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Liberalisierungen der Wirtschaft: "trabajo por cuenta propria" im Dienstleistungssektor (Taxi, paladar, casa particular etc.) und Primärsektor, aber keine Angestelltenbeschäftigung -> Möglichkeiten sehr begrenzt (Nachteil ggü. ausl. Joint-Ventures - Entstaatlichung der überdimensionierten Betriebe des Agrarsektors, Gründung der UBPC´s (selbstverwaltende Kooperativen)
Zulassung von "mercados agropecuarios": Reaktion auf Flüchtlingswelle 1994, Legalisierung des Schwarzmarktes und Einschränkung des staatlichen Binnenmonopols -> deutliche Verbesserung der Versorgungslage
Balseros-Krise: einerseits Schock, andererseits Entlastung des innenpolitischen Drucks -> Dynamisierung des Reformprozesses
Geld- und Fiskalpolitik: Staatsdefizit soll über Steuern, Preiserhöhungen und Subventionsstreichungen abgemildert werden, außerdem Geldquelle für Finanzierung des Sozialsystems und Abbau des Geldüberhangs
Ab 1994/5 wirtschaftliches Wachstum, allerdings nur in den Sektoren für ausländische Investoren. Wg. positiver Wachstumszahlen keine weitere Ausweitung der Privatwirtschaft, stattdessen Regulierung und Kontrolle durch Steuererhöhungen
Investitionsmöglichkeiten für Ausländer in allen wirtschaftlichen Bereichen (außer Gesundheit, Bildung und Verteidigung) - auch für Exil-Cubaner
Bewertung: trabajo por cuenta propria ermöglicht Wiedereingliederung in die cubanische Wirtschaft. UBPC´s können aufgrund staatlicher Einschränkungen Produktivität nicht steigern, erst durch mercados agropecuarios
 

Phase 3:
1997-heute

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zunehmende Erholung der Wirtschaft -> Regierung konzentriert sich zu Lasten des Binnensektors wieder mehr auf den Außenhandel. Keine weitere Liberalisierung der Binnenwirtschaft und Politstruktur ("Politik der Kontinuität")
Boom im Tourismussektor, 1997 eröffnete vier Produktionszonen für ausländische Investoren tragen zu weiteren Erholung bei.
Keine Binnenwirtschaftliche Liberalisierung mehr, eher Rücknahme früherer Lib.´s. Zucker und LW keine positive Entwicklung (1998 schlechteste zafra); Abnahme der Beschäftigten im Privatsektor um 1/3 1996-99
Bewertung: Hauptproblem Energie: Verbrauch steigt, Importe bleiben gleich -> Rückgang der ökonomischen Leistung. Staatsinterventionen immer noch höher als ausländische. Größter Anteil der Devisen als Privatüberweisungen ("remesas") aus Miami. Einnahmen im Tourismussektor können Außenhandelsdefizit nicht auffangen, da sofort reinvestiert in Angebotssicherung. Ökonomische Stabilisierung basiert zum einen auf Öffnung, zum anderen auf Exil-Cubaner -> wieder erneute Abhängigkeit?

 

7.

Transformation in Cuba?
 

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Transformation = Veränderung in allen Bereichen (Wirtschaft, Gesellschaft und Politik).
In Cuba Unvereinbarkeit der Reformbestrebungen mit der Unantastbarkeit des politischen Systems. -> kein innerer Strukturwandel, vielmehr "klassischer sozialistischer Reformzyklus", in dem sich Liberalisierung und Rezentralisierung abwechseln, ohne die Systemlogik - die der letzten Entscheidungskompetenz der Zentrale - aufzugeben.
=> wenn überhaupt, dann nur "halbe" Transformation, da Wandel nur selektiv im ökonomischen Bereich, nicht aber im politischen und gesellschaftlichen (?!) Bereich.

 

 

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