Geomorphologie

   
 

 Periglaziale Prozesse

 
   

Das Periglaziale System
 

FROSTWECHSEL:

ist der dominierende Prozess der Verwitterung in der periglaziale Zone (physikalische Verwitterung führt zur Blockhalden und bei weiterer Zerkleinerung auch zur Bereitstellung von Kleinmaterial, welches äolisch oder fluviatil verfrachtet werden kann).
 

PERIGLAZIAL:

Sammelbegriff für die natürlichen Eigenschaften unvergletscherter Kaltklima-Gebiete (Merkmal: ganzjährig gefrorener Unterboden: Permafrost). Gebiete haben a) mittlere Jahrestemperatur < 0°C und b) Schneeschmelze im Sommer (keine Gletscherbildung).
 

PERMAFROST / DAUERFROSTBODEN:

obere Bodenschicht taut im Sommer auf ( = Auftauboden). Diese Schicht kann geomorphologisch aktiv sein, da in aufgetautem Zustand beweglich).
 

AUFTAUTIEFEN:

hohe Breiten
Nord-Grönland 40-50cm;
in Kanada bis 1,5 m Auftautiefe

tropische Gebirge (periglaziale Höhenstufe)
Bedingt durch kurze tageszeitliche Zyklen geringere Einwirktiefe. Allerdings um ein vielfaches häufigere Frostwechsel (engl. ‚freeze-thaw-cycles')
 

DISKONTINUIERLICHER PERMAFROST:

Permafrost nur lokal vorhanden

 

SAISONALER PERMAFROST:

Permafrost bleibt im Frühjahr bis Frühsommer noch erhalten, obwohl Oberboden bereits aufgetaut ist. Im Sommer taut Unterboden dann vollständig auf (Gebirge mittlerer Beriten z.B. Alpen)
 

Die bestimmenden geomorphologische Umweltbedingungen in periglaziale Gebieten sind
a) Intensität und Häufigkeit des Frostwechsels und
b) Niederschlags- und Schmelzwasserstau im Auftauboden (Permafrostschicht im Unterboden behindert Infiltration). Folgen sind erhöhte Fließfähigkeit des Oberbodens sowie Druckwirkung und Materialtransport durch Frostwechsel.

 

Periglaziale Prozesse und Formen
 

periglaziale Solifluktion / Gelifluktion
 

SOLIFLUKTION (= Bodenfließen) hangabwärts gerichtete Fließbewegung von wassergesättigtem Bodenmaterial über Permafrost. periglaziale Variante des Bodenfließens wird GELIFLUKTION genannt, da das Gefrieren hier für das Eintreten des Prozesses maßgeblich ist. Gelifluktion ist eine richtungs- und v.a. schwerkraftabhängige Bewegung (viskoses Fließen), welche im Gegensatz zu, durch Expansions-Kontraktionsbewegung ausgelöstes Bodenkriechen, steht. Bedingung für ihr Auftreten ist ein für Wasserspeicherung ausreichender Anteil an Feinmaterial. Gelifluktion kann selbst auf Hängen mit sehr geringer Neigung (<3°) auftreten.
 

GELIFLUKTIONS-
ZUNGEN / -LOBEN:

wandern mit konvexer Front hangabwärts. Steine innerhalb der Gelifluktionszunge sind meist eingeregelt, die Forderkante der Zunge ist meist steil.
 

DELLEN:

talartig gestreckte Hohlformen (oft 100m Länge), muldenförmig, kein Gerinnebett vorhanden. Diese Formen sind in Mitteleuropa während der Eiszeiten entstanden. Neben der Gelifluktion war auch flächenhafte Spüldenudation des jährlichen Schmelzwassers an ihrer Entstehung beteiligt.
 

GEBUNDENE GELIFLUKTION:

Bewegung wird durch das Wurzelwerk von Bewuchs (meist Grasdecke) verlangsamt.
 

UNGEBUNDENE GELIFLUKTION:

auf vegetationsarmen Hängen

 

PERIGLAZIALE SPÜLDENUDATION:

Abfluss des Schneeschmelzwassers im Frühsommer auf noch gefrorenem Untergrund (oft erhebliche Feinmaterialverlagerungen)

 

Nivationsnischen / Kryoplanationsterassen
 

NIVATION ist eine im Bereich von Schneedriften lokal auftretende Sonderform der Gelifluktion. Sie tritt am hangabwärtigen Rand eines Schneefeldes durch, von Schmelzwasser geförderte, Gelifluktion auf. Das Schmelzwasser ermöglicht eine jahreszeitlich länger andauernde Durchfeuchtung des Bodens und somit längere Wirkungsdauer des Prozesses. Da sich der hangwärtige Rand des Schneefeldes mit andauernder Ablation verlagert, verlagert sich auch die Zone mit der stärksten Nivation hangaufwärts. Über die Jahre entsteht so eine Hohlform: die NIVATIONSNISCHE (engl. nivation hollow). Diese morphologische Form führt ihrerseits dazu, dass größere Schneemengen länger überdauern können. Die Rückseite ist steil, der Boden flacher (= Nivationsterrasse). Große Nivationsterrassen werden, im Besonderen wenn sie mit benachbarten Terrassen zusammenwachsen, auch KRYOPLANATIONSTERRASSEN genannt.

 

Steinnetze und Steinstreifen
 

STEINNETZE /
STEINPOLYGONE / STEINRINGE:

netzförmige Anordnungen von Steinen auf flachem Gelände (Feinmaterial in der Mitte). Das Ausgangsmaterial muss ein Regolith mit großer Spannweite im Korngrößenspektrum sein - zumeist stammt es aus unsortierten Grundmoränen. Durch das sogenannte AUFFRIEREN gelangen gröbere Bestandteile allmählich an die Oberfläche. An der Oberfläche werden die groben Partikel durch den, von im Feinmaterial befindlichem Wasser, ausgeübten Druck horizontal von den Feinanteilen wegbewegt. Das Feinmaterial wölbt sich dabei auf. Treffen sich die von den Wölbungszentren abwandernden Klasten, so entsteht eine POLYGONALE STEINNETZSTRUKTUR. Zum Teil reichen die Grobklasten bis an die Basis des Auftaubodens. Hierfür existieren folgende Erklärungsansätze. Einerseits werden konvektionsartige Bodenbewegungen dafür verantwortlich gemacht (BRODELBODEN), andererseits aber auch präexistierende Frostspalten die durch Grobmaterial verfüllt wurden.
 

WÜRGEBÖDEN / TASCHENBÖDEN / TROPFENBÖDEN:

entsehen durch differenzierte ‚Brodel'-Bewegungen (= KRYOTURBATION Verbiegungen und Verstauchungen von Horizonten) im Boden.

 

STEINSTREIFEN

(engl. stone stripes) entstehen im Periglazialbereich oft an stärker geneigten Hängen. Die Steinpolygone sind durch die allgemeine Massenbewegung hangabwärts ellipsenförmig gestreckt. Grobkörnige Bänder wechseln mit Feinmaterial, welches 2-3mal schneller hangwärts verlagert wird.

 

Eiskeilnetze
 

Die Entstehung von FROST - oder TROCKENRISSE wird durch die physikalische Eigenschaft von Eis begründet bei weiter sinkenden Temperaturen zu schrumpfen, nachdem es sich beim Aggregatsübergang Wasser - Eis zuvor um bis ca. 10% ausgedehnt hat. Verstärkende Faktoren sind ein hoher Wassergehalt sowie ein schneller Wechsel des Aggregatszustands im Boden. Die entstehenden Kontraktionsrisse werden FROSTSPALTEN genannt. Sie werden beim frühjährlichen Auftauen mit Schmelzwasser und Feinmaterial verfüllt. Das nun in der Spalte vorhandene Bodenwasser gefriert im folgenden Winter wieder mit 10%iger Volumenvergrößerung. Als Folge bildet sich ein EISKEIL, der die Spalte erweitert und die Ränder aufdrückt.
 

PINGOS:

sind Aufwölbungen der periglazialen Landoberfläche, die durch oberflächennahes Bodeneis bedingt werden und Durchmesser von 30 - 100m erreichen können. Die Entstehung hängt unmittelbar mit Eiskernbildung und -wachstum zusammen.
 
2 Arten der Eiskernbildung:

 

a)

KRYOSTATISCHE EISKERNBILDUNG: Poren des Bodens über Permafrost sind mit Wasser gefüllt; der benachbarte Boden ist gefroren. Im Winter gefriert der Boden über dem Bodenwasser, weswegen ein kryostatischer Druck auf das Wasser ausgeübt wird. Da Wasser aber nicht komprimiert werden kann drückt es die überlagernden Bodenschichten in die Höhe und gefriert dann sukzessiv zu einer Eislinse.

b)

ARTESISCHE EISKERNBILDUNG: Wasser wird durch Auflastdruck in die oberen Bodenschichten ‚injiziert' und gefriert dort zu INJEKTIONSEIS, solange das Zuströmen von Grundwasser anhält.
 

PALSAS / PALSEN:

treten im Gegensatz zu Pingos hauptsächlich in den periglazialen Randgebieten und diskontinuierlichem Permafrost auf. Der Aufbau entricht einem Pingo, ist allerdings in Torf ausgebildet.

 

Blockfelder
 

BLOCKGLETSCHER:

(engl. rock glaciers) sind gletscherzungenähnlich geformte Gesteinsmassen, deren Porenräume eisgefüllt sind. Ihre viskosen Eigenschaften erreichen diese Objekte durch das vorhandene Matrixeis. Sie entwickeln sich aus großen Schutthalden und Karfüllungen in Hochgebirgen, wo einsickerndes Schneeschmelzwasser durch niedrige Bodentemperaturen gefriert. Unterscheidungsmerkmal zu echten Gletschern ist die nachträgliche Bildung von Poreneis.
 

BLOCKSTRÖME

sind kleiner als Blockgletscher, enthalten weniger Feinmaterial (nur am Grund) und sind deutlich talwärts gestreckt. Das untere Ende ist steil und konvex ausgebildet.

 

Äolische Prozesse in Periglazialgebieten
 

Diese Prozesse treten unter trockenen Klimaten und bei starken Windverhältnissen auf (in der Regel in der Nähe von Gletschern, ‚till plains' und glazialen Ablagerungsterrassen.
 

SAND:

wird äolisch am effektivsten durch SALTATION bewegt. Für diesen Transport werden typischerweise Windgeschwindigkeiten von 30km/h vorausgesetzt. Es wird angenommen, dass solche Windgeschwindigkeiten in unmittelbarer Nähe des Baltischen Eisschildes vorherrschten.

SILT /LÖSS:

kann im Gegensatz zu Sand durch Verwirbelungen bis zu 3km in die Troposphäre gelangen und somit viel weiter verlagert werden. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass einmal abgelagerter Löss erneut verfrachtet wird, da in dieser Korngröße bereits starke Kohäsionskräfte wirken.

NIVO-ÄOLISCHE ABLAGERUNGEN:

treten heute in den hohen Breiten der ariden Polarregionen auf. Sie sind eine Mischung aus Schnee- und äolischem Sediment. Die Sedimente werden von den starken Winterwinden verblasen und durch Schneefall fixiert. Schmelzwässer verfrachten die Partikel nach unten und führen so zu einer bodennahen Anreicherung.

 

Literatur (Auswahl):
 

Ahnert, F. (1996): Einführung in die Geomorphologie. - Stuttgart
Embelton, C. / C.A.M. King (1975): Periglacial Geomorphology. - London

 

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